Dienstag, Mai 08, 2007

Relativität...

Für den heutigen Eintrag sind viele Namen und Überschriften denkbar. Ob der gewählte nun passt oder nicht, überlasse ich Deiner Einschätzung, geneigte/r Leser/in...

Denkbar wäre auch gewesen: "Europatag, 5.5.07" oder "Der Tag, an dem Bruno B. starb" oder "Das Leben ist schön?!" oder oder...vielleicht gibt es ja noch andere Vorschläge...

Für ein paar wenige Menschen ist es nichts Neues und genau die warten vielleicht auch gespannt auf die Bilder, für alle anderen hier erst einmal der bildlose Bericht der Ereignisse...

Es war einmal in einem kleinen Land, genannt Schweiz. Da lebte ein Mädchen, man nannte sie Melanie. Diese Melanie hatte aus dem Land, aus dem sie eigentlich stammte, Deutschland, einen treuen Gefährten mitgebracht, ein tapferes, kleines, schwarzes Auto, rund, schwarz, mit Augen, die im Nebel gucken konnten, einem Dach, dass den Blick zu den Sternen ermöglichte und einer Kofferraumabdeckung, die nebst einer beifahrenden Person auch die Mitnahme des Hundes Oleg ermöglichte. Sie nannte ihn Bruno.

Melanie lebte nun schon einige Zeit in der Schweiz und hatte lange gebraucht, um aus Bruno, dem Essener (obgleich in Berlin gekauft und in Frankreich hergestellt), einen Schweizer zu machen. Im März 2007 war es endlich soweit, am 20.3. wurde er Berner. Neue Nummer, neues Outfit, ungewohnt, aber sehr schick. So lebten sie glücklich und zufrieden…doch Unheil drohte dem Glück, schwere Regenwolken zogen auf und verhüllten am Europatag, dem man selbst in der neutralen Schweiz gedenkt,




den Himmel. Am Nachmittag des 5.5. wurde mit der erhaltenen Freikarte in Begleitung von Tanzpartnerin J. die BEA Expo 07 besucht, Schweinchen angeschaut und natürlich Kühe

sowie Öpfuchüchli und Miuch genossen. Am Abend wollte man nach Zürich an den grossen Gayball reisen. Zuvor sollte aber der Hund noch eine gehörige Portion Auslauf am Thuner See erhalten, während J. sich bereits für den Ball parat machte. Nach ner guten halben Stunde im absoluten Dauerregen (dem Hund macht das Hundewetter ja nix aus…) wurde die Tanzpartnerin im schicken Ballkleid eingesammelt und so fuhr Bruno vollbesetzt tapfer gegen die Fluten kämpfend gen Bern. Die Wolken verdichteten sich, es regnete unaufhaltsam weiter, aber das war ja schon x-Male bestanden, nie hatte es irgendwelche Probleme gegeben, warum gerade heute…


Und dennoch, es geschah. Auf schnurgerade Strasse zog es Bruno auf einmal wie von Geisterhand mit voller Wucht und etwa bei 100km/h Geschwindigkeit rasant vom rechten (Normal-)Fahrstreifen nach links. Alle Gegenlenk- und Bremsversuche von Melanie zeigten sich ausgesprochen erfolglos und mit einer (eleganten??) Drehung kollidierte das Auto ein erstes Mal mit dem rechten Teil der Schnauze mit der Leitplanke. „Das war’s, fertig und tschüss“ dachte sich Melanie, aber weiter ging’s im Karrussel, das Auto drehte sich, knallte mit der linken Seite an die Leitplanke und vor lauter Drehschwung kam noch ne Spiraldrehung mehr dazu und die Welt stand für einen Augenblick Kopf. Nach der bald anschließenden Landung zurück auf die Räder wurde es dann still. Das erste, was Melanie wahrnahm, außer dass sie es tatsächlich offenbar überlebt hatte, war der Anblick ihres Hundes vor ihr (!) auf der Strasse, d.h. in diesem Fall dem linken (Überhol-)Fahrstreifen der Autobahn. Neben ihm lag die vorher ebenfalls im Kofferraum befindliche extralange Leine. Wie war beides bloß dahin gekommen? Und wieso bewegte sich der Hund nicht sondern schaute sie nur absolut verdutzt an? Aber halt, rechts fuhren ja schon die Autos weiter, es galt, ihn möglichst schnell in Sicherheit zu bringen… ein kurzer Blick zur Beifahrerin, die ebenfalls nicht wenig verwirrt drein blickte „Alles in Ordnung?“ „Ja, alles klar“ und schon war Melanie ausgestiegen und auf dem Weg zu Oleg. Der versuchte erst halbherzig wegzulaufen, ließ sich dann aber glücklicherweise schnell einfangen, bevor noch mehr passieren konnte. Kurzes Anhalten der Autos auf dem rechten Streifen und Oleg wurde an die Leitplanke des Pannenstreifens gebunden. Danach zurück zum Auto, wo J. inzwischen auch ausgestiegen war…da es ja immer noch sehr stark regnete, legte Melanie ihr nahe, dass sie doch mal ihre, für einen anderen Zweck, glücklicherweise mitgenommene Regenjacke anziehen möge…tat sie dann auch. Eine Frau, die den Unfall offenbar beobachtet hatte, kam zur Hilfe geeilt, fragte, was sie tun könne. „Warndreieck“ war alles, was Melanie einfiel und weil die Frau sie nicht ganz verständnisvoll anschaute, wühlte Mel kurzerhand in den Scherben und dem Müll ihres Autos rum und kramte das eigene Warndreieck hervor. Damit schickte sie die Frau dann erst mal weg und besann sich anschließend auf nächste Schritte. Die Schweizer Nummer der Polizei wollte ihr nicht einfallen, als sie mit zitternden Fingern das Handy hervor holte. Hier konnte aber J. glücklicherweise aushelfen. Doch grade, als die Nummer getippt war, kam die Frau zurück, fragte erneut, was sie helfen könne und dabei fiel Melanies Blick auf die direkt in der Nähe befindliche Notrufsäule. Spontan fiel ihr ein, was sie wenige Tage zuvor im Feuerwehr-Motorfahrkurs gelernt hatte: Bei Unfällen Notrufalarmierung vorteilhafterweise per Säule machen, weil so der Standort direkt bekannt ist. Also die beiden Frauen rüber zur Notrufsäule geschickt. Berndeutsch hätte sie in dem Moment wahrscheinlich eh nicht verstanden, also war sie froh, nicht telefonieren zu müssen…Stattdessen setzte sie sich mal ins Auto, wo ja noch der Schlüssel steckte und nach ein paar erfolglosen Versuchen, das Auto zu starten (ist bei Smart ne Kunst, wenn der Schlüssel steckt, man muss auf „N“ stellen, den Schlüssel auf „O“, dann einmal die Türverriegelung lösen und kann anschließend starten…von der Theorie her bekannt, im Eifer des Gefechts doch ein recht komplizierter Vorgang…), lief der Motor schließlich wieder rund. Und trotz zweier Platten und verbogenen Felgen auf der rechten Seite, konnte easy auf den Pannenstreifen hinüber manövriert werden, um nicht weiter zusätzlichen Unfallgefahren ausgesetzt sein zu müssen…
Danach verabschiedete sich die nette Helferin unbekannterweise und J. und Mel warteten gemeinsam mit dem ganz leicht verletzten Oleg auf die Polizei. Oleg hatte am Auge und an der Pfote ein paar blutige Spuren, schien aber ansonsten recht fit und fidel zu sein. Ist er bislang immer noch. Fit (aber nicht wirklich fidel) waren und sind auch Melanie und J. Letztere hat allerdings ein Schleudertrauma abbekommen, wie sich bei einer abendlichen Untersuchung in der Thuner Klinik herausstellten sollte. Die Aktion dort war auch besonders spannend. Zunächst bei der Aufnahme die Angabe zahlreicher Daten…J. begann und Melanie wurde es immer übler, wusste sie doch zu der Hälfte der Fragen keine Antworten… Unfallversicherung des Arbeitgebers?? Art der Krankenversicherung?? Herrje…Kontaktperson in der Schweiz??? Aber für jedes Problem gibt es eine Lösung, so konnten auch diese Dinge wenig später geklärt werden. Ohne große Wartezeit ging es kurz darauf in den Untersuchungsteil. J. war bereits vorher zur Untersuchung gebeten worden und als Melanie das Krankenzimmer betrat, lag sie schon im schicken Krankenhausnachthemd und mit Halskrause versorgt im Bett…bald darauf sollte Melanie nicht großartig anders aussehen, wobei sie es 1. schaffte, das Krankenhausnachthemd falschrum anzuziehen (Zitat Pflegefachfrau: „Wenn ich auch keine Anleitung mit dabei lasse…“) und 2. die Halskrause erst mit einiger Verspätung angelegt wurde. Vorher stand noch das Blut abnehmen und das Legen einer Infusion an. Hier zeigte sich die Pflegefachfrau sehr pragmatisch. Nach dem erfolglosen Erklopfen günstiger Venen im linken Arm („herrje und ganz kalt ist Ihnen auch noch“) gab es zum einen ein angenehmes Wärmekissen für den linken Arm und die Versuche wurden rechts fortgesetzt. Die – überraschenderweise ;-) deutsche – Assistenzärztin erklärte den Grund für die erfolglose Venensuche mit dem Schock „da kollabieren die Venen dann einfach“. Bei J. ging die ihr zuständige Pflegefachfrau etwas weniger sanft um, sechs- oder siebenmal wurde zugepiekst. Bei Melanie reichte letztlich ein Treffer in die rechte Ellenbeuge fürs erfolgreiche Abzapfen und anschließende Befüllen mit einer Elektrolytfüllung (J. bekam „nur“ NaCl). Weiter ging das Programm wenig später mit Röntgen von Hals- und Brustwirbelsäule sowie Ultraschall des Bauches. Dabei musste nie die Matratze verlassen werden, praktisch. Nachdem auch das alles geschafft war und die Ergebnisse soweit auf keinerlei Verletzungen hindeuteten, fehlte noch die obligatorische Urinprobe. Da bereits ein paar Stunden vergangen waren, konnte Melanie dieses Bedürfnis zur allgemeinen Erheiterung sehr umfassend erfüllen…(diese Becher sind aber auch klein…). Auch hier noch fix auf die Ergebnisse gewartet, dann konnte mit Schmerzmitteln und Rezepten ausgestattet die Notaufnahme wieder verlassen werden. Der Unfall war gegen 18h geschehen, inzwischen war es so 22.45h…

Tja und da sie nicht gestorben ist, blogt sie auch noch heute…

Inzwischen ist es Mittwoch, 0:38h gerade und eigentlich sollte ich ja schlafen…aber jetzt mach ich noch diesen Eintrag fix fertig, heute früh kommt eh der Maler zum Wohnungstür streichen, da ist nicht viel Arbeiten angesagt…

Vielleicht stellt sich die Frage: Was ist denn nun eigentlich aus dem treuen, tapferen, kleinen Bruno geworden? Nun, der hat, nach meinem Verständnis es tiefgründig abgelehnt, Schweizer zu sein und hat, passenderweise am Europatag, den Freitod gewählt. Natürlich hochdramatisch mit viel Publikumswirkung… Dass er dabei ne Horde Schutzengel für Mensch und Tier zum Einsatz gebracht hat, war ihm im Vorfeld sicher nicht so bewusst…nichtsdestotrotz steht nun aber ein Haufen Schrott in Thun beim Abschlepper rum und wartet auf die Entsorgung. Oder das Recycling?








Tja, was ist hier wohl wichtig? Wie ich inzwischen herausgefunden habe, ist die von mir erst kürzlich abgeschlossene Autoversicherung nur eine Teilkasko, dumm gelaufen. Und 1. kenn ich mich ja nicht aus und 2. hatte ich sowohl Samstag beim Abschleppen als auch Sonntag beim Ausräumen des Fahrzeugs weissgott andere Sorgen als an weitere Schritte zu denken. So war ich dankbar, dass der Abschleppheini die Entsorgung „einfach so“ erledigen wollte. Ob er es nun tut oder noch erfolgreich interveniert werden kann, wird sich zeigen. Eine nette Arbeitskollegin mit ihrem Mann hat sich dieser Angelegenheit angenommen und ich drücke fest die Daumen, dass die zwei etwas erreichen können. Vielen Dank Euch beiden!!! Ebenfalls danken möchte ich an dieser Stelle allen, die mir in den letzten Tagen immer wieder sehr, sehr liebe Dinge gesagt haben und auf die eine oder andere Art für mich da waren. Es ist sicher noch nicht alles überstanden (wie meine „sentimentalen Phasen“), aber ich bin sicher: Alles wird gut!

Die Situation ist schon speziell, ich habe dem Tod quasi ins Auge geguckt, bin aber nicht mal mit einem blauen Auge sondern absolut unverletzt davon gekommen. Warum ich ein solches Glück hatte und beispielsweise am gleichen Tag ein 18jähriger Fahrer (bei dem sich gar der Airbag geöffnet hat, bei uns nicht) nicht, weiß ich nicht. Irgendeinen Grund wird es schon geben, vielleicht erfahre ich ihn irgendwann.
Sei es, weil meine Oma immer fleißig Kerzen für ihre Kinder, Enkel und Urenkel anzündet und jeden Abend ein gutes Wort für uns einlegt, sei es, weil meine Opas und meine andere Oma von oben auf mich aufpassen, sei es, weil es einfach noch nicht meine Zeit ist…irgendeinen Grund wird es geben. Aber ich bin mir sicher, der Grund ist nicht der, dass ich mich hier nun unnötig wegen diverser kleinerer oder größerer Finanzbeträge stressen sollte, unsinnig kindische zwischenmenschliche Konflikte ausleben oder ähnliche Zeitverschwendung betreiben sollte…

Dramatische Ereignisse hinterlassen Spuren. Auch wenn mir oberflächlich nix fehlt und es mir augenscheinlich gut geht, innen drinnen arbeitet es. Und wird wohl so bald auch nicht aufhören. Wie kann man ein Leben in einer Welt „genießen“, wo genau das so vielen Menschen fremd geworden ist und man als „Genießer“ keinen Platz mehr findet? Geht das überhaupt? Oder ist es nicht vielmehr Aufgabe für alle, sich selber einmal an die Nase zu nehmen, inne zu halten und zu überlegen, um was genau es eigentlich geht? Die Evolution hat aus dem Menschen das scheinbar überlegenste Lebewesen dieses Planeten gemacht, aber sind wir es wirklich? Ich denk weiter drüber nach…und bin gespannt auf Antworten in den Kommentaren…

In diesem Sinne: Eine gute Nacht und einen schönen Tag!